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Der Schleier des Schweigens. Von der eigenen Familie zum Tode verurteilt. Paperback – 31 Mar. 2005 by Djura (Autor), Oliver Neumann (Übersetzer)
Der Schleier des Schweigens. Von der eigenen Familie zum Tode verurteilt. Paperback – 31 Mar. 2005 by Djura (Autor), Oliver Neumann (Übersetzer)
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From the Publisher
Der erschütternde Lebensbericht einer Muslimin, die vom eigenen Bruder hingerichtet werden sollte.
Excerpt. © Reprinted by permission. All rights reserved.
In diesem Buch erzähle ich meine Geschichte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mein Leben aufzuschreiben, hätten sich die Ereignisse nicht so dramatisch zugespitzt, daß es für mich lebenswichtig wurde, sie festzuhalten und auf diese Weise die Vergangenheit zu bewältigen.
Bisher bedeckte ein schamvoller Schleier mein Leiden. In meinen Liedern sang ich nur von der Hoffnung. Ich war beseelt von dem Wunsch, das Los der Frauen, die noch unter dem Joch einer überalterten »Tradition« leiden, zu verbessern. In der ganzen Welt.
Nach meinen Auftritten kamen häufig Frauen zu mir und erzählten von sich. Dabei wurde mir bewußt, daß mein Schicksal so außergewöhnlich es auch anmuten mag mit dem vieler Töchter, Schwestern oder Gattinnen übereinstimmt, die stumm sind vor Angst, die glücklich sein wollen und dabei nicht einmal existieren dürfen.
Als ich mich bereit erklärte, mein Leben zu erzählen, wollte ich diesen Schleier des Schweigens lüften, damit eines Tages die Maskerade ein Ende hat, durch die angeblich die Gebräuche der Vorfahren respektiert werden. Menschlich gesehen besitzt sie keinerlei Legitimität mehr.
Juni 1987, dreizehn Uhr Es ist entsetzlich heiß, und die Kais der Seine sind völlig verlassen. Normalerweise nutzen die Flußschiffer das schöne Wetter, um ihre Boote zu streichen. Doch an diesem Tag wagt niemand, die heißen Planken zu berühren. Unser zu einem Hausboot umgebauter Schleppkahn bewegt sich nicht. Alles ist ruhig.
Herve hat kaum Hunger, ich auch nicht. Wir geben uns mit einem gemischten Salat und einer halben Ananas zufrieden, die wir im Rumpf unseres schwimmenden Hauses verzehren, wo wir eine amerikanische Küche im Stil der dreißiger Jahre mit einer Bar eingerichtet haben. Auf dem Flohmarkt hatten wir eine hinreißende Theke aus Akazienholz, eine blaue Bank und zwei Bistro-Tische gefunden - die ganze Einrichtung.
Ich bin im siebten Monat schwanger und trage ein geblümtes Kleid, das angenehm leicht ist. Es stammt aus meiner nordalgerischen Heimat, der Kabylei. Ab und zu spüre ich, wie sich das Baby in meinem Bauch bewegt, und kann es immer noch nicht fassen, ein Kind von dem Mann, den ich liebe, auf die Welt zu bringen! Für viele Frauen ist das wohl das Normalste auf der Welt. Für mich bedeutet es das Ende eines langen Kampfes, die Verwirklichung eines Traumes, den ich gestern noch für unmöglich hielt.
Bei der Ultraschalluntersuchung hatte der Arzt gesagt, mein Kleiner bewege sich schon sehr kräftig. Herve und ich haben gelacht.
Plötzlich hören wir, während wir noch essen, Schritte auf dem Deck. Wir haben keine Zeit zu reagieren. Die Tür wird brutal aufgestoßen, und ein bewaffneter Mann dringt in die Wohnküche ein. Kaum erkenne ich ihn, da drückt er auch schon seinen Revolver in meinen Bauch. Er gibt mir einen heftigen Schlag, so daß ich gegen die Bar taumele. Dann stürzt er sich auf Herve und versetzt auch ihm mit dem Lauf seines Revolvers heftige Schläge. In diesem Augenblick dringt ein junges Mädchen in die Küche, läuft auf mich zu, schlägt mit Füßen und Fäusten wahllos auf meinen Körper ein. Sie beschimpft mich und reißt an meinen Haaren, bevor sie sich auf meinen Bauch konzentriert und dort ihre ganze Wut ausläßt, während ich versuche, mich so gut wie möglich zu schützen.
»Ich bin schwanger!« schreie ich.
»Na und?« höhnt das junge Mädchen und schlägt unbekümmert weiter zu.
Die Überrumpelung, vor allem aber die entsetzliche Angst, mein Kind zu verlieren, verschlagen mir die Sprache. Trotz meines schwerfälligen Körpers versuche ich, die Treppe zu erreichen und mich ins Freie zu retten. Doch die wütende Furie hindert mich daran.
Plötzlich höre ich einen Schuß. Der Mann hat Herve verfolgt, der ins Freie geflohen ist. Voller Angst versuche ich ein zweites Mal, das Boot zu verlassen und um Hilfe zu rufen. Das Mädchen drängt mich mit Gewalt zurück und stößt mich die Treppe hinunter.
Ich habe nicht die Kraft aufzustehen. Plötzlich kommt der junge Mann wieder in die Küche und ruft seine Komplizin: »Schnell, Sabine, beeil dich.«
Sie hasten die Treppe wieder hoch. Er trägt eine schwarze Lederjacke, und auch sie ist ganz in Schwarz gekleidet, einschließlich der Strumpfhosen. Später frage ich mich, aus welchem Grund die beiden bei dieser Hitze schwarze Kleidung trugen. Man sollte auf ihrer Kleidung wohl keine Blutflecken erkennen können
Ich wage nicht aufzustehen, weil ich befürchte, dann mein Kind zu verlieren. Ich krieche, meinen Bauch mit beiden Händen haltend, zum Telephon, wähle den Notruf der Polizei. Dann nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, stehe auf und gehe die Treppe hoch, so schnell es mir mein Zustand erlaubt. Entsetzlich: Herve schwankt auf dem Kai, blutüberströmt. Wie ein Tier, das man abgestochen hat. In diesem Augenblick weiß ich, daß in mir etwas endgültig gestorben ist, auch wenn es mir gelingen sollte, mein Baby zu retten.
An diesem 29. Juni 1987 um dreizehn Uhr hat sich mein Leben geändert.
Denn ich kenne die beiden, die uns überfallen haben: mein Bruder Djamel und meine Nichte Sabine. Ich weiß auch, daß sie es im Auftrag meiner Familie getan haben.
Als ich am nächsten Morgen im Krankenhaus aufwache, ist mein ganzer Körper mit Blutergüssen übersät. Mein Nacken wiegt eine Tonne; ich habe Schmerzen und Angst. Die Polizei war überraschend schnell eingetroffen und hatte unser blutüberströmtes Boot entdeckt. Sie haben mich ins Krankenhaus transportiert. Man gab mir Beruhigungsmittel.
Ich beginne zu kämpfen. Die Kontraktionen meines Uterus zeichnen sich auf dem Bildschirm deutlich ab. Mein Kind! Mein Kind befindet sich in Gefahr! Ich spreche mit ihm, als ob es bereits geboren wäre: »Halt durch! Sei stark!«
Durch meine Haut hindurch streichle ich es sanft; ich denke an die kleine Hand mit den bereits deutlich sichtbaren Fingern, die es mir bei der ersten Ultraschalluntersuchung entgegengestreckt hatte. Damals glaubte ich, ein neues Leben beginnen zu können, vor den Nachstellungen meiner Familie geschützt
Jetzt ist das Leben meines Sohnes bedroht, mein Mann Herve hat so viel Blut verloren, daß ich das Schlimmste befürchte, und mein Hunger auf das Leben wird von meinen Tränen erstickt.
Die Ärztin verschreibt mir krampflösende Mittel und totale Ruhe. Die Zeit bis zur Geburt soll ich liegend verbringen. Sie besteht darauf, daß ich im Krankenhaus bleibe. Sie ahnt wohl, daß ich mich nur hier in Sicherheit befinde.
»Ich möchte nach Hause! Ich kann mich schließlich nicht ewig verstecken!« protestiere ich schwach.
Sie lächelt traurig:
»Eine algerische Frau und zudem Sängerin zu sein, ist sicher nicht einfach Wenn ich Sie später wieder einmal im Fernsehen sehe, werde ich mich an Sie erinnern.«
Sie macht mir Mut. Die Ärztin ist die erste mitfühlende Person, mit der ich seit dem Überfall spreche. Trotzdem heule ich weiter, ohne Unterlaß. Alles kommt mir so absurd vor.
Es ist die Absurdität der mittelalterlichen Bedingungen, unter denen viele Frauen heute noch leben, auch hier unter westlichem Himmel, wo man sich auf das Jahr zweitausend vorbereitet. Es ist die Absurdität dieser Traditionen, die zwar meine Lieder und meine Musik inspirieren, denen ich aber einen heutigen Sinn zu geben versuche, während die Überlieferungen hartnäckig von einer »Frauenehre« sprechen, für die ich, wie so viele andere Mädchen meiner Herkunft, beinahe mit meinem Leben bezahlt hätte.
Mein Leben meine geliebte Heimat, die Blumen von Djurdjura, meine Familie, für die ich alles getan habe und die mir trotzdem feindlich gesinnt ist, die meine Liebe zur Kunst und mein Bedürfnis nach Freiheit einfach nicht verstehen kann oder will. Mein Leben, das auf diesem Krankenhausbett, in dem ich um ein kleines Wesen kämpfe, das kein neues Opfer werden soll, vor meinem inneren Auge abläuft, ist schmerzverzerrt und tränenverhangen, aber auch voller Lächeln und Hoffnung.
Wenn der liebe Gott niest, schickt er Narzissen«, sagt bei uns ein Sprichwort. In jedem Frühjahr überschwemmt der...
Product details
Publisher : Heyne; Updated paperback exp. edition (31 Mar. 2005)
Language : German
Paperback : 176 pages
ISBN-10 : 3453873165
ISBN-13 : 978-3453873162
Best Sellers Rank: 2,193,137 in Books (See Top 100 in Books)
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